Widerrufsjoker bei Autokrediten
Was Baufinanzierungskunden und Besitzern von Lebensversicherungen zugutekam, kann jetzt auch für Autokäufer interessant und für Autobanken katastrophal werden – nicht nur im Dieselskandal. Eine mangelhafte Widerrufserklärung im Kreditvertrag führt dazu, dass auch ein Autokredit faktisch niemals zustande kam bzw. die Widerrufsfrist unendlich lang andauert. Bislang konnten Kreditnehmer in diesem Fall unter Zahlung eines Nutzungsausgleichs vom Vertrag zurücktreten. Dies hat sich geändert. Eine fehlende Pflichtangabe, dazu zählt beispielsweise auch die Information zur Aufsichtsbehörde, macht den gesamten Kreditvertrag hinfällig. Hier lesen Sie, was es beim Autokredit-Widerruf zu beachten gilt.
- Mangelhafte Widerrufsbelehrung bei Autokrediten erlaubt Rückgabe des Fahrzeugs.
- Die Nutzungsentschädigung für das Fahrzeug ist hinfällig.
- Urteile der Landgerichte Hamburg und Düsseldorf erlauben Rückgabe des Fahrzeugs ohne Nutzungsentschädigung, Käufer fahren damit faktisch kostenfrei.
Landgericht Hamburg, Az. 330 O 145/18, Urteil vom 29.06.2018
Der Grund zur Klage
Der Kläger erwarb im Jahr 2015 einen Hyundai Santa Fe mit Euro-5-Dieselmotor. Die Finanzierung erfolgte über die Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe GmbH (BDK). Der Kläger, ein Hamburger, war nicht nur vom überdurchschnittlich hohen Wertverlust seines Fahrzeugs durch den Dieselskandal betroffen, er musste sich auch den Fahrverbotszonen beugen. Die mangelhafte Widerrufsbelehrung der Bank bot ihm die Chance, den Kreditvertrag aufzuheben.
Weist eine Widerrufsbelehrung Mängel auf, beginnt die Widerrufsfrist für den Vertrag nicht zu laufen oder anders gesagt: Die Widerrufsfrist dauert unendlich lange an.
Es kam schon in der Vergangenheit zu Klagen gegenüber Autobanken. Bis dahin hatten die Richter zwar immer zugunsten der Käufer entschieden, den Vertrag wieder aufzuheben. Allerdings mussten die Käufer dem Pkw-Hersteller einen Nutzungsausgleich zahlen.
Das Landgericht Hamburg geht neue Wege.
Das Urteil
Das jüngste Urteil zum Thema Widerruf mangelhafter Kreditverträge kommt vom Landgericht Hamburg, Az. 330 O 145/18 (1). Mit dem Urteil wird dem Käufer nicht nur die Rückabwicklung des Vertrags zugestanden. Er muss darüber hinaus keinerlei Nutzungsentschädigung an Hyundai zahlen. Der Käufer erhält nicht nur den Kaufpreis zurückerstattet, sondern außerdem eine Zinsentschädigung in Höhe von fünf Prozent über dem Basiszins.
Die Richter begründeten ihr Urteil damit, dass die Widerrufsbelehrung formale Fehler aufwies, die 14-tägige Widerrufsfrist folglich hinfällig ist.
Auf der Grundlage dieses Urteils könnten Tausende von Autokäufern ihre Fahrzeuge zurückgeben, ohne am Ende des Tages einen Cent dafür bezahlt zu haben. Eine Frist, in der die Anfechtung des Kreditvertrags erfolgen muss, haben die Richter nicht gesetzt.
Auf die Banken könnte jetzt hinsichtlich der nach dem 13. Juni 2014 geschlossenen Verträge eine Einspruchswelle hereinbrechen. Das Urteil des LG Hamburg ist noch nicht rechtskräftig. Die beklagte Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe hat bereits angekündigt, dass sie gegen das Urteil Einspruch einlegen wird.
Landgericht Düsseldorf, Az. 16 U 102/18, Urteil vom 17.01.2019
Das Landgericht Düsseldorf gab in Bezug auf fehlende Pflichtangaben einen Hinweisbeschluss (Beschl. v. 17.01.2019, Az. 16 U 102/18) dazu, wie im Falle fehlender Angaben zur Aufsichtsbehörde im Kreditvertrag zu verfahren sei. Da es in dieser Angelegenheit im Kreditvertrag keinen rechtlich verpflichtenden Hinweis auf die Europäische Zentralbank gab, verletzte die Bank ihre Pflicht zur Angabe dieser Information. Der Kunde wurde nicht vollständig über seine Widerrufsmöglichkeiten belehrt. Der Kreditvertrag datierte aus dem Jahr 2014.
Eine fehlende Pflichtinformation führt dazu, dass die Widerrufsfrist für den Kreditvertrag hinfällig ist. Obwohl die Widerrufsfrist im vorliegenden Sachverhalt nur 14 Tage betrug, räumten die Richter bei fehlenden Pflichtangaben ein ewiges Widerrufsrecht ein. Sie verzichteten darüber hinaus darauf, den Vertrag auf weitere rechtliche Verletzungen zu prüfen, da der vorliegende Tatbestand bereits völlig ausreichend war. „Rechtsfolge der fehlenden Angabe der Aufsichtsbehörde ist nach § 494 Abs. 6 Satz 1 BGB a.F. ein jederzeitiges Kündigungsrecht des Klägers als Darlehensnehmer“, so die Richter.
Damit konnte der Autokäufer das Fahrzeug zurückgeben, ohne dass eine Nutzungsentschädigung anfiel.
Widerrufsjoker bei Autokrediten nutzen
Der Dieselskandal hat viele Verbraucher dazu gebracht, eine Sachmangelklage gegen den Hersteller zu führen. Sammelklagen sind in Deutschland ebenfalls in diesem Zusammenhang zugelassen worden. Wesentlich einfacher ist es aber für Autofahrer, die sich vom Hersteller betrogen fühlen, ihren Kreditvertrag auf rechtlichen Bestand prüfen zu lassen. Sollte der Vertrag Mängel aufweisen, ist auch die Widerrufsbelehrung hinfällig. Der Fahrzeugbesitzer kann das Auto ohne weitere Kosten zurückgeben und den Kreditvertrag nachträglich aufheben. Die beiden Urteile sind rechtskräftig.
Natürlich steht die Nutzung des Widerrufsjokers nicht nur Dieselfahrern offen, sondern allen Autokäufern, die ihr Fahrzeug mittels Autokredit finanzieren.
Widerrufsjoker nicht immer anwendbar
Auch wenn die genannten Beispiele eindeutig für die Verbraucher entschieden wurden, so ist der Widerrufsjoker dennoch kein Allheilmittel und nicht immer anwendbar, um ein unliebsames Dieselauto ohne Kosten an den Händler zurückgeben zu können. Das mussten schon einige Autokäufer erfahren. In den beiden nachfolgend aufgezeigten Fällen wies das OLG Köln (29. November 2018 – 24 U 56/18 und Urteil vom 6. Dezember 2018 – 24 U 112/18) die Klagen der zwei Käufer ab, ließ aber die Revision beim Bundesgerichtshof zu.
Der Sachverhalt
Die beiden Kläger hatten jeweils ein Fahrzeug erworben und den über die Anzahlung hinausgehenden Kaufpreis mit einem jährlichen Zinssatz in Höhe von 3,92 Prozent (gebundener Sollzins) und fester Laufzeit finanziert.
Die Bank händigte beiden Kreditnehmern die Darlehensunterlagen zusammen mit der Erklärung zur Widerrufsvereinbarung aus. Die Widerrufsinformation wies darauf hin, dass im Falle des Widerrufs das Darlehen innerhalb von 30 Tagen zurückzuzahlen sei, zuzüglich eines Zinssatzes von null Prozent. Die Frist zur Darlehensrückzahlung begann mit der Absendung des Widerrufs.
Der Zinssatz, der für die Zeit zwischen Auszahlung und Rückzahlung anfiel, verringerte sich um den bereits getilgten Darlehensanteil. Diese Aussage hat bei genauem Hinsehen nur hypothetischen Charakter, da der Zins mit null Prozent keinerlei Kosten verursacht.
Allerdings verwies der Darlehensvertrag nicht auf Paragraf 314 BGB, der außerordentlichen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses (3). Hinsichtlich der Vorfälligkeitsentschädigung verwies die Bank auf die vom Bundesgerichtshof vorgeschriebenen Rahmenbedingungen. Das Kreditinstitut nahm auch Bezug auf die rechtlich festgelegten Höchstgrenzen.
Die Klage
Die Darlehensaufnahme erfolgte in den Jahren 2013 beziehungsweise 2016. Im Jahr 2017 widerriefen die Kläger ihre Verträge mit der Begründung einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung. Es sei nicht ersichtlich, wann die 14-tägige Widerrufsfrist begonnen hatte, da Informationen zu
- den Widerrufsfolgen
- der Methode zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung
- dem außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB
fehlten.
Als Folge daraus seien die Kaufverträge der Fahrzeuge, welche den Darlehensverträgen zugrunde lägen, ebenfalls nichtig.
Das Urteil der Landgerichte
Das Landgericht Bonn als auch das Oberlandesgericht Köln hatten die Klagen abgewiesen. Die Widerrufsfrist sei verjährt. Die Widerrufsbelehrung sei nicht zu beanstanden gewesen und ein Zinssatz von null Prozent bedürfe hinsichtlich der Berechnung keiner weiteren Erklärung.
Eine Belehrung nach Paragraf 314 BGB sei auch hinfällig gewesen, da eine solche Belehrungspflicht gemäß Verbraucherkreditrichtlinie hier nicht vorgesehen sei.
Der Beginn der Widerrufsfrist sei bei einer mangelhaften Information in Bezug auf die Vorfälligkeitsentschädigung ebenfalls nicht betroffen, da die Banken in diesem Fall keinen Anspruch darauf haben.
Das OLG Köln ließ die Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) zu. Die Verhandlungen sind für den 5. November 2019, 9:00 Uhr ((XI ZR 650/18) und 10:00 Uhr (XI ZR 11/19) angesetzt. Die Kürze der Verhandlungsdauer lässt bereits erste Schlüsse der Karlsruher Richter erahnen.
Das Urteil des BGH
Der Bundesgerichtshof urteilte am 5. November 2019, dass die betroffenen Darlehensnehmer die Darlehensverträge für die Kfz-Finanzierung nicht wirksam widerrufen haben, weil die beklagten Banken ordnungsgemäße Widerrufsinformationen führten (XI ZR 650/18 und XI ZR 11/19) (4).
Durch die ordentliche Widerrufsbelehrung ist eine zweiwöchige Widerrufsfrist mit Abschluss der Darlehensverträge in Kraft getreten, die von den Darlehensnehmern nicht eingehalten wurde. Der BGH begründete die Entscheidung folgendermaßen:
„Die nach Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 2 EGBGB mitzuteilende Angabe eines zu zahlenden Zinsbetrags in der Information über die Widerrufsfolgen ist auch dann klar und verständlich, wenn sie mit 0,00 € angegeben wird. Dies wird von einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, auf den abzustellen ist, dahin verstanden, dass im Falle des Widerrufs keine Zinsen zu zahlen sind. Eine solche Regelung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Nach § 361 Abs. 2 Satz 1 BGB darf von den halbzwingenden gesetzlichen Regelungen über die Widerrufsfolgen zu Gunsten des Verbrauchers abgewichen werden.“
Darüber hinaus bräuchten die Banken nicht über das außerordentliche Kündigungsrecht nach § 314 BGB informieren, da es nicht bei den Angaben über das einzuhaltende Verfahren bei der Kündigung des Vertrags nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EGBGB nötig sei. Alle erforderlichen Informationen zu den Voraussetzungen sowie der Berechnungsmethode für den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung seien ordnungsgemäß seitens der Banken erteilt worden. Es sei ausreichend, wenn die Bank, wie hier jeweils geschehen, die für die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung wesentlichen Parameter in groben Zügen benennt. Die Darstellung einer finanzmathematischen Berechnungsformel würde hingegen nicht zur Verständlichkeit beitragen.
Des Weiteren sei es auch nicht von Belang, dass den Klägern mit Vertragsabschluss nicht der aktuell geltende Prozentsatz des Verzugszinses mitgeteilt worden war. Aufgrund der halbjährlichen Veränderbarkeit des Basiszinssatzes ist der Verzugszins bei Vertragsabschluss bedeutungslos und braucht daher nicht aufgeführt werden.
Autoren: Uwe Rabolt, Tina Reisewitz
Quellen und weiterführende Informationen
(1) Anwaltsregister – Positives Urteil vom LG Hamburg: Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe GmbH zur Rückabwicklung eines Auto-Kredits verurteilt
(2) Wilde Beuger Solmecke Rechtsanwälte Partnerschaft mbB – Widerruf Autokredit – OLG Düsseldorf ermöglicht weiteren Widerrufsjoker
(3) BGB – § 314 Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund
(4) BGH – Widerrufsinformationen in mit Kfz-Kaufverträgen verbundenen Verbraucherdarlehensverträgen ordnungsgemäß