Autokredit widerrufen dank Widerrufsjoker
Die Dieselgate-Affäre macht den vielen deutschen Autofahrern enorm zu schaffen, die sich einen Diesel zugelegt haben. Werbeversprechen über grüne Autos, hohe Motorleistungen bei gleichzeitig geringem Verbrauch lockten die Käufer. Speziell bei denjenigen, die jährlich hohe Kilometerzahlen abspulen, rannten die Hersteller offene Türen ein.
Über die Jahre wurden Millionen der vermeintlichen Öko-Diesel verkauft. Und alle deutschen Hersteller scheinen mitgemacht zu haben, bei dem wohl größten Betrugsskandal der Industriegeschichte.
Zusammenfassung zum Widerrufsjoker in der Diese-Affäre
Die Diesel-Fahrer fühlen sich unfair behandelt: Erst werden sie vorsätzlich von den Automobilherstellern getäuscht, dann von den Kontrollbehörden enttäuscht und schlussendlich von der Politik im Stich gelassen.
Abhilfe soll nun ein cleverer juristischer Schachzug bringen, der sogenannte Widerrufsjoker. Juristen versuchen aufgrund eines Formfehlers Autofinanzierungen anzugreifen. Im Erfolgsfall kann so auch der Kaufvertrag zerstört werden und es kommt zur Rückabwicklung.
Ein kleiner Satz im Europäischen Amtsblatt eröffnet zusätzlich Raumen für die Argumentation, dass der Diesel-Fahrer die bereits entstandene Abnutzung am Fahrzeug nicht zu bezahlen braucht. Er könnte im Ergebnis das Auto zurückgeben und bekäme den Kaufpreis vollständig erstattet.
Die folgende Studie analysiert die Situation am Markt und klärt die Frage, wie der Widerrufsjoker für Autokredite genau funktioniert und welche Konsequenzen für die Beteiligten entstehen.
Kostenfreier Widerruf von Autokrediten?
Kunden, die sich vor dem Hintergrund der Diesel-Affäre von ihrem Fahrzeug trennen wollen, haben es nicht leicht. Ein einheitliches Abwicklungs-Prozedere existiert zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch?) nicht.
Selbstredend reagieren die Autohersteller nicht mit einer freiwilligen Rücknahme gegen Bargeld bzw. mit einem Tausch gegen ein Benziner-Fahrzeug.
In den Medien ist zu lesen, dass sich möglicherweise eine Hintertür öffnet, zumindest für all die, die ihr Auto nach dem 13. Juni 2014 mittels Kredit finanziert haben. Viele von ihnen können mit recht guten Chancen den Darlehensvertrag und den damit verbundenen Kaufvertrag angreifen, meint Rechtsanwalt Dirk-Andres Hengst (1).
Das ist aber noch nicht alles. Laut Hengst wäre für die jüngeren Verträge im Falle einer Rückabwicklung noch nicht einmal eine Nutzungsentschädigung an die Hersteller zu zahlen.
Damit steht der Rechtsanwalt nicht völlig allein und selbst VW scheint die Lage so zu interpretieren. Das ZDF berichtete von einem Fall, der vor dem Landgericht Berlin verhandelt wurde. Volkswagen legte demnach ein Vergleichsangebot vor, wonach beide Verträge (Kauf und Finanzierung) nicht nur rückabgewickelt würden, sondern der Kunde außerdem seinen Touran kostenlos behalten dürfe (2).
Wie uns eine Richterin des Gerichts auf schriftliche Anfrage hin bestätigte, ist das Verfahren in erster Instanz noch nicht beendet. Ein neuer Termin vor der Kammer ist für den 24.10.2017 anberaumt (Az. 4 O 150/16, Stand: 09.08.2017).
Wie könnte ein schadfreier Widerruf funktionieren?
Kauft ein Kunde ein Fahrzeug bei einem Autohaus, das ihm gleich noch die dazugehörige Finanzierung anbietet, so spricht der Jurist von verbundenen Verträgen (3).
Derselbe Paragraph erlaubt dem Endkunden durch die ersten beiden Absätze, dass er sich vom verbundenen Vertrag ebenfalls lösen kann, wenn er einen der beiden wirksam widerrufen hat.
Das bedeutet: Gelingt es juristisch den Autokreditvertrag erfolgreich anzugreifen und zu widerrufen, wird damit automatisch auch der Kaufvertrag widerrufen. Über diese Schiene könnte eine Rückgabe erfolgreich funktionieren.
Ein Vertrag über die Lieferung einer Ware oder über die Erbringung einer anderen Leistung und ein Darlehensvertrag […] sind verbunden, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrags dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Eine wirtschaftliche Einheit ist insbesondere anzunehmen, wenn der Unternehmer selbst die Gegenleistung des Verbrauchers finanziert […]. (BGB, §358 Abs. 3)
Es könnte weiter argumentiert werden, dass ein Verbraucher nur dann Nutzenersatz zahlen muss, wenn er ordentlich über sein Widerrufsrecht aufgeklärt wurde. Hat die Widerrufsbelehrung einen Fehler, kann er eventuell darauf beziehen und sagen, er sei nicht korrekt über sein Widerrufsrecht informiert worden.
Geht das so durch, müsste er für die Nutzung des Autos nichts bezahlen. Dazu findet sich ein entsprechender Satz im Europäischen Amtsblatt, der den sogenannten Widerrufsjoker begründet. Dazu später mehr.
Angreifbar werden die Kreditverträge in diesem Fall durch formale Fehler. Beispielsweise wenn die Aufsichtsbehörden nicht oder nicht vollständig genannt werden. Die moralisch-ethische Seite einer solchen Taktik ist diskutabel, denn der Kernzweck des Kreditvertrages war für beide Seiten ursprünglich in Ordnung:
Der Kunde willigte ein, einen bestimmten Geldbetrag für eine bestimmte Zeit zu einem bestimmten Zins zu leihen. So wurde der Vertrag definiert und unterzeichnet. Diese übereinstimmende Willenserklärung wird nun aufgrund einer bloßen Formalie torpediert.
Was passiert beim erfolgreichen Widerruf des Autokredits?
Grundsätzliches Ziel eines erfolgreichen Widerrufs ist die Herstellung des Zustands, der vor der vertraglichen Verbindung herrschte. Das bedeutet, jede Partei muss wieder so gestellt werden, als wäre nichts passiert. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es dazu (4):
Im Falle des Widerrufs sind die empfangenen Leistungen unverzüglich zurückzugewähren. (BGB, §355 Abs. 3)
Das bedeutet für
- Den Kunden: Er bekommt seine Anzahlung und die geleisteten Kreditraten zurück
- Den Händler: Er bekommt das Auto zurück
- (Die Bank: Sie bekommt vom Händler den Kaufpreis zurück. Deren Innenverhältnis interessiert hier aber nicht weiter)
Damit ist aber der ursprüngliche Zustand noch nicht wiederhergestellt. Am besten veranschaulicht das die Situation des Autoverkäufers. Er händigte beispielsweise einen Neuwagen aus und bekommt drei Jahre später einen Gebrauchtwagen zurück, inklusive der allgemein bekannten Wertminderung. Wie er dafür zu entschädigen ist, wird gleich wieder aufgegriffen.
Bei der Bank entspricht die Abnutzung des Autos dem potentiellen Geschäft, das sie an anderer Stelle hätte machen können. Da der Kunde an die Bank Kreditzinsen bezahlt hat, wird dieser Aspekt beglichen, indem die Bank die geleisteten Zinszahlungen einbehält.
Der Kunde bekommt seine Zahlungen wider. Da die Bank mit diesen Raten wirtschaften (=Geld verdienen) konnte, muss sie den Kunden dafür entschädigen. Grund dafür ist, dass sie Geldern gearbeitet hat, welche sie der Theorie nach nicht hätte haben dürfen. Darum bezahlt sie dem Kunden eine sogenannte Nutzungsentschädigung in Höhe von 5 Prozent über dem gültigen Basiszinssatz.
Das juristische Risiko beim Widerruf eines Autokredits
Im oberen Abschnitt wird deutlich, wo die Crux für den Autokäufer bei der Sache liegt. Es geht um die Entschädigung des Autohändlers, der natürlich nicht auf einem Abnutzungs-Schaden sitzen bleiben soll.
Das Landgericht Arnsberg hat im Juli 2017 einen ähnlichen Fall bearbeitet (5): Eine Frau hatte erfolgreich einem Neuwagenkauf widersprochen. Sie erhielt den Kaufpreis sowie ihre Auslagen für den Anwalt zugesprochen. Gleichzeitig hatte sie aber für die Nutzung des Fahrzeugs ihrerseits eine Nutzungsentschädigung zu bezahlen.
Das Landgericht Regensburg hingegen hielt einen Fahrzeugtausch wegen zu hoher Schadstoffemissionen ohne Nutzungsentschädigung für gerechtfertigt (6). Dem Händler entstehen dadurch zwar wesentlich höhere Kosten als durch eine Reparatur des Altwagens. Das Gericht erkannte jedoch an, dass in diesem Fall mindestens ein Mangelverdacht erhalten bleibe und der Wert des bisherigen Autos drastisch abnehme.
Das Landgerichte Krefeld hat in zwei Fällen entschieden, dass den Käufern das Recht zusteht, das Dieselauto wegen vorhandener Mängel (zu hohe Schadstoffemissionen) zurückzugeben und den Kaufvertrag rückabzuwickeln. Gelichzeitig müssen auch in diesen Fällen Entschädigungen für die Nutzung des Fahrzeugs bezahlt werden (7)(8).
In den genannten Fällen wurde immer ein Mangel am Fahrzeug geltend gemacht. Im ersten Schritt wurde also der Kaufvertrag widerrufen und im zweiten Schritt damit auch die mit diesem Vertrag verbundene Finanzierung. Der Widerrufsjoker soll genau umgekehrt funktionieren.
Ihr Ass im Ärmel: Der Widerrufsjoker?
Es finden sich Anwälte und Interessensgemeinschaften, die die Auffassung vertreten, es sei auch durch die Diesel-Affäre ein Widerruf möglich, ohne dass Nutzungsentschädigungen zu zahlen seien.
Zur Argumentation ziehen sie das Amtsblatt Nr. L 304 der Europäischen Union heran (9). Darin findet sich ein kurzer Satz, der es in sich haben soll.
Und so soll der Trick „Widerruf ohne Nutzungsentschädigung“ funktionieren:
Im Amtsblatt L 305/79 heißt es im Artikel 14, Absatz 2:
Der Verbraucher haftet in keinem Fall für den Wertverlust der Waren, wenn er vom Unternehmer nicht [gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h] über sein Widerrufsrecht belehrt wurde.
Im genannten Artikel 6 steht genau beschrieben, wie eine Widerrufsbelehrung auszusehen hat. Macht der Kreditgeber an dieser Stelle einen Fehler, wurde der Kunde per Definition nicht (vollständig/richtig/ausführlich/etc.) über sein Widerrufsrecht informiert.
Im logischen Schluss argumentieren die Verfechter dieses Ansatzes, dass betroffene Käufer keine Nutzungsentschädigung zu zahlen hätten. Das trifft übrigens nur für Kfz-Käufe zu, die
- finanziert wurden und
- deren Vertrag nach dem 13. Juni 2014 abgeschlossen wurde.
Bei unseren Recherchen konnten wir allerdings bislang kein Urteil finden, welches diesen Ansatz unterstützt. Wenn Sie also lesen, dass schon tausende Fälle dahingehend erfolgreich durchgefochten wurden oder es sonst eine absout sichere Sache sei, sollten Sie misstrauisch werden. Auch wenn der Autor ein Anwalt ist.
Berechnung der Nutzungsentschädigung
Es ist klar, dass gefahrene Kilometer nicht mehr rückgängig zu machen sind. Eine Kompensation muss daher in Euro erfolgen. Vorgeschlagen wird dazu ein simpler Rechenweg, der eine Soll-Kilometer-Leistung des Fahrzeugs annimmt und mittels gefahrener Kilometer und Verkaufspreis den Wertverlust ermittelt.
Beispielrechnung:
Ein neues Fahrzeug hat eine Nennlaufleistung von 250.000 km. Der Kunde ist 50.000 km gefahren bis es zum Widerruf kommt. Gekostet hatte der Neuwagen 40.000 Euro.
Nutzungsentschädigung = (50.000 km * 40.000 €) / 250.000 km = 8.000 Euro
Daneben gibt es noch weitere Berechnungsmethoden, wie beispielsweise die „0,67-Pauschale“. Diese Berechnung nimmt an, dass ein Neuwagen alle 1.000 Kilometer 0,67 Prozent des Originalpreises verliert. Im obigen Beispiel wären das (40.000 * 0,0067 * 50) = 13.400 Euro.
Die Berechnung der Nutzungsentschädigung spielt also eine entscheidende Rolle, sowohl für den Händler als auch für den Käufer. Das Portal Anwalt.de hat im November 2016 eine Übersicht mit Urteilen und der verwendeten Berechnungsmethode je nach Fahrzeug aufgelistet (10).
Nicht nur nach einem erfolgreichen Widerruf stellt sich vielleicht die Frage, wie eine künftige Fahrzeugfinanzierung aussehen könnte. Unser Rechner gibt Ihnen die Möglichkeit, ganz individuelle Annahmen durchzuspielen:
Finanzierungsrechner
Der Widerrufsjoker klingt zwar logisch, aber…
Fakt ist, dass der BGH schon beim Widerrufsjoker für Immobilienkredite sehr penibel gegen diverse Ungenauigkeiten in den Widerrufsklauseln geurteilt hat. Zig-Zehntausende Immobilienfinanzierungen wurden damit angreifbar und konnten rückabgewickelt werden.
Ein Milliardenschaden stand den Kreditinstituten ins Haus. Das zwang die Bankenwirtschaft dazu, wirklich jeden Hebel umzulegen, um den Schaden zu minimieren. Die Lobbyisten schwärmten aus und waren sehr erfolgreich.
Bei den Immobilienkrediten ging es um den Austausch von Geld. Eine Sache also, die sich nicht abnutzt. Und doch wurde auch in diesem Fall immer eine Nutzungsentschädigung bezahlt: Die Bank zahlte die Kreditraten plus einen Zins 5 Prozent (bzw. 2,5 Prozent) über dem Basiszins an den Endkunden. Dieser musste der Bank die bereits geleisteten Zinszahlungen als Entschädigung überlassen.
Im Verhältnis Autokäufer und -verkäufer ist es daher nur sehr schwer vorstellbar, dass letztinstanzlich entschieden wird, dass der Händler unentschädigt aus der Sache gehen soll.
Es handelt sich doch aber um Betrug am Kunden?
Hand aufs Herz: das logische Rechtsempfinden untersagt es, einen Rechtsrahmen zu schaffen, in dem es möglich ist, einen Neuwagen beispielsweise drei Jahre abzunutzen und sich dann den Kaufpreis zu 100 Prozent erstatten zu lassen. Es kann eigentlich nicht sein, dass diese Nutzung, die für jeden einen gewissen (geldgleichen) Wert hat, kostenlos gewesen sein kann.
Ein Argument, wonach genau das als gerechte Strafe für den vorsätzlichen Betrug der Autokonzerne am Endkunden (wie z.B. das LG Arnsberg festgestellt hat und von vorsätzlicher Täuschung sprach) empfunden wird, scheitert an einer juristischen Spitzfindigkeit:
Um Betrug handelt es sich, wenn der bezahlte Betrag und der entstandene Schaden gleich hoch sind. Beim Autokauf entspricht der bezahlte Preis beispielsweise dem Neuwagenwert. Sagen wir, der Kunde fühlt sich durch Dieselgate benachteiligt und gibt den Wagen wegen Mängeln zurück. Er bekommt beim Händler zumindest den Restwert dafür.
Beispielrechnung:
Neuwagenpreis: 45.000 Euro
– Restwert: 29.000 Euro
= Entstandener Schaden: 16.000 Euro
Daher ist der für den Kunden entstandene Schaden unter dem Strich der Differenzbetrag (16.000 €) zwischen dem Neuwagenwert und Restwert. Da dieser Betrag logischerweise kleiner ist, als der Neuwagenwert, kann der Endverbraucher keinen Betrug vor Gericht geltend machen.
Zur Verdeutlichung:
Ein windiger Investment-Berater verspricht enorme Renditen für eine Anlage in XY-Papiere. Sie geben ihm beispielsweise 10.000 Euro für solch ein Investment. Anstatt Ihnen die Rendite auszuzahlen, setzt sich der Mann ins Ausland ab. Ihr Geld ist futsch.
Die Summe, die Sie gesetzt haben und der Ihnen entstandene Schaden, sind gleich hoch. Sie können den Mann daher wegen Betrugs drankriegen.
Licht am Horizont dank Sonderprämien
Am 08. August 2017 veröffentlichte Volkswagen eine Liste mit Prämien, die der Konzern Besitzern älterer Dieselmodelle jeder Marke beim Kauf eines neuen VW gewähren will (11). Die Aktion ist vorerst befristet bis zum 31. Dezember 2017. Voraussetzung dafür ist, dass
- der Kunde das Auto mindestens ein halbes Jahr besitzt,
- das Auto die Abgasnormen Euro 1 bis 4 erfüllt,
- das alte Auto verschrottet wird und
- der Kunde einen Neuwagen erwirbt.
Im Einzelnen sehen die Prämien beim Kauf eines der gelisteten Modelle wie folgt aus:
Modell | Umweltprämie brutto |
---|---|
up! | 2.000 Euro |
Polo | 3.000 Euro |
Golf, Golf Sportsvan, Golf Variant, Tiguan, Tiguan Allspace, Beetle Cabrio | 5.000 Euro |
Touran | 6.000 Euro |
Passat Lim./Variant, Arteon, Sharan | 8.000 Euro |
Touareg | 10.000 Euro |
Quelle: Volkswagen
Wir sprachen mit einer Sprecherin von Volkswagen, die uns erklärte, dass die Kosten der Verschrottung vom Händler bzw. vom Konzern übernommen werden.
Zusätzlich zu diesen Prämien für ein Neufahrzeug können Käufer eine sogenannte Zukunftsprämie erhalten, wenn der Neuwagen einen besonders grünen Antrieb hat. Diese Prämien gelten für alle Modelle und staffeln sich wie folgt:
Antriebsart | Zukunftsprämie brutto |
---|---|
Erdgas | 1.000 Euro |
Hybrid | 1.785 Euro |
Elektro | 2.380 Euro |
Quelle: Volkswagen
Nach telefonischer Auskunft einer Sprecherin von Volkswagen seien die letzten Diesel-Fahrzeuge der Euro 4 Norm bereits Ende 2005 zugelassen worden. Mithin sind sie also schon 12 Jahre alt. Bedenkt man den Restwert, den das Auto ohne die Diesel-Affäre hätte, kommen die Umweltprämien einer vollständigen Kompensation schon recht nahe.
Opel zog kurz darauf nach und gab am 10.08.2017 bekannt, dass auch sie einen Umweltbonus für Neuwagenkäufer ausreichen (12). Die Rahmenbedingungen sind mit denen von VW identisch: Die Marke des bisherigen Autos ist egal, es muss die Euronorm 1 bis 4 erfüllen, der Wagen wird verschrottet und ein neuer Opel wird gekauft.
Leider gibt es bei Opel keinen Extra-Bonus für grüne Antriebe. Da ein Euro 6 Diesel nach wie vor viel zu viel Schadstoffe in die Umwelt bläst, müsste man auch bei Opel eher von eine einer Neuwagenprämie als von einer Umweltprämie sprechen. So staffeln sich die Boni bei Opel:
Opel-Modell | Opel-Bonus |
---|---|
KARL | 1.750 € |
ADAM | 3.000 € |
Corsa | 3.500 € |
Astra | 5.000 € |
Crossland X | 4.000 € |
Zafira | 6.500 € |
Mokka X | 5.500 € |
Grandland X | 5.000 € |
Insignia | 7.000 € |
Quelle: Opel Automobile GmbH
Durch den Preisverfall als Konsequenz des Skandals kann man wohl davon ausgehen, dass Besitzer von alten Fahrzeugen sogar ein Schnäppchen machen. Ein wichtiges Signal bei der Umwelt- und Zukunftsprämie ist, dass sie zu 100 Prozent vom Konzern getragen wird und nicht der Steuerzahler dafür mitaufkommt, wie bei der Abwrackprämie 2009.
Für Käufer von besonders umweltfreundlichen Autos steht nach wie vor der staatliche Umweltbonus zur Verfügung. Das sind nochmal 4.380 Euro von Vater Staat on-top für den grünen Neuwagen.
Weiter unten gehen wir noch etwas genauer auf die Diesel der neuen Generation ein und stellen mit Erschrecken fest, dass sich die Lage nur unmerklich verbessert. Selbst mit Software-Update schaffen es die Diesel der Euro 6 Norm nicht unter die maximalen Grenzwerte zu kommen.
Experten raten dazu, bis September 2017 zu warten, denn da kommen die Fahrzeuge der neuen Euro 6d Norm auf den Markt.
Für den Tausch von altem gegen neuen Diesel eine „Umweltprämie“ zu bezahlen, ist darum schon als zynisch zu bezeichnen. Dringt diese Erkenntnis bis zu den Käufern durch, könnte das wohl das Ende der Diesel-Motoren einläuten. Speziell die Menschen in den Städten werden dann eher zu Benzinern greifen oder gleich auf ein grünes Auto umsteigen.
Beispielrechnung zum Prämienversprechen
Rechnen wir die Offerte von Volkswagen anhand eines Beispiels durch. Ein Volkswagen Golf Plus 1.9 TDI, Baujahr 2005 mit Abgasnorm Euro 4, 150.000 km Laufleistung ist laut Autoscout24.de für 4.990 Euro zu bekommen (Stand 08.08.2017).
Der Wagen steht bei einem Händler, es handelt sich also um den Verkaufspreis. Der Einkaufspreis liegt deutlich darunter. Je nach persönlichem Verhandlungsgeschick und Good-Will des Autohändlers bei geschätzten 3.800 Euro. Das ist daher in etwa der Wert, den der Wagen aktuell hat.
Entscheiden Sie sich für einen neuen Golf bekommen Sie von Volkswagen 5.000 Euro, unabhängig davon, ob sie einen Benziner oder Diesel kaufen. Steigen Sie bei der Gelegenheit gleich auf einen E-Golf um, gibt Ihnen Volkswagen weitere 2.380 Euro.
Dazu gibt es den Umweltbonus vom Staat mit 4.380 Euro. In Summe erhalten Sie so Prämien im Gesamtwert von 11.760 Euro für ein Fahrzeug, das noch etwa 3.800 Euro wert ist. Keine schlechte Offerte. Haken an der Sache: Die Differenz bis zum Kaufpreis des E-Golfs müssen Sie selbst bezahlen.
In der Basisversion kostet das Auto laut VW-Webseite 35.900 Euro. Sie müssten daher 24.140 Euro selbst aufbringen bzw. finanzieren.
Unter dem Strich spart der Kunde bei der Neuanschaffung eines umweltfreundlicheren Autos erheblich Geld. Das bringt natürlich nicht jedem etwas, gerade wenn der Differenzbetrag zwischen Prämien und Neuwagenpreis nicht so ohne Weiteres gestemmt werden kann.
Gleichzeitig sind gerade diese potentiellen Kunden in einer bestmöglichen Situation, denn die Kreditzinsen sind hierzulande nach wie vor spektakulär niedrig. Hohe Prämien einerseits, historisch niedrige Zinsen andererseits: günstiger wird sich ein Neuwagen kaum finanzieren lassen.
Autokredit
Hintergründe, Nebeneffekte und Konsequenzen der Diesel-Affäre
Dieselgate verdient seinen Namen. Es handelt sich in der Tat um eine ausgewachsene Krise und einen handfesten Skandal, der seinesgleichen in der Industriegeschichte sucht.
Im Folgenden haben wir aus unserer Sicht besonders wichtige Nebeneffekte und deren (mögliche) Konsequenzen betrachtet.
Wirkungslose Umweltplakette – Stuttgart kippt Öl ins Feuer
Die schwäbische Hauptstadt gehörte mit zu den ersten Gemeinden, die die Umweltplakette einführten. Schon ab März 2008 durften nur noch Fahrzeuge in die Stadt, die die Grenzwerte nachweislich unterschritten. Doch auch viele Jahre später hatten sich die Belastung der Luft nicht signifikant verbessert. Die EU-Richtlinien wurden regelmäßig um bis zu 100 Prozent überschritten.
Mitschuld an dieser mangelhaften Entwicklung sind mit Sicherheit auch die Täuschungen der Autoindustrie. Clevere Systeme erkannten, dass das Auto auf dem Prüfstand stand und regelte den Motor so, dass wesentlich weniger Schadstoffe aus dem Auspuff kamen. Im normalen Fahrbetrieb auf der Straße wurden die Schleusen wieder geöffnet.
Für den Erhalt der Umweltplakette und auch für eine entsprechend günstige Besteuerung waren die Testergebnisse vom Prüfstand ausreichend. Nachvollziehbar, dass sich die Luft so nicht verbesserte.
Die Deutsche Umwelthilfe klagte gegen das Land Baden-Württemberg und hatte vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart Ende Juli 2017 Erfolg (13). Dank diesem Urteil droht den Dieselbesitzern schon ab dem ersten Januar 2018 ein Fahrverbot in der Stadt.
Das Umweltbundesamt verdeutlicht, welchen Anteil die Diesel-Fahrzeuge an den NOx-Emissionen haben:
Ein Fahrzeug als Werkzeug mit hohem Gegenwert
Viele Menschen in unserer Gesellschaft sind auf den fahrbaren Untersatz angewiesen, schon allein um die Distanz zwischen Wohnort und Arbeitsstelle zu überbrücken. Dazu kaufen sie sich Fahrzeuge, die das möglichst vernünftig und auch mit einem gewissen Komfort ermöglichen. Das Auto an sich ist damit primär ein notwendiges Werkzeug, das mehr oder weniger sekundäre Luxusmerkmale aufweist.
Gleichzeitig ist ein Auto eine sehr komplexe Maschine, die in der Entwicklung und in der Herstellung nicht eben günstig ist. Entsprechend ist der Kauf eines Fahrzeugs für den Endverbraucher immer eine relativ große finanzielle Anstrengung. Gleichzeitig hat der Käufer damit auch einen Gegenwert vor dem Haus stehen.
In einer Situation, wie sie in Stuttgart möglicherweise bald Realität ist, wird dem Endkunden beides genommen – sowohl der Werkzeug-Aspekt als auch der finanzielle Gegenwert seines Autos. Dank Fahrverbot dürfte das Auto nicht mehr in die Stadt fahren und aus eben diesem Grund wird sich wohl nur schwer ein Käufer für den Wagen finden lassen, woraufhin der Preis ins Bodenlose fällt.
Selbst das Internet bietet wenig Hoffnung auf einen Interessenten von jenseits Stuttgarts Stadtgrenzen. Es weiß nämlich keiner, wie sehr ein Fahrverbot in anderen Gemeinden Schule machen würde. Es ist nur logisch, dass sich Diesel daher nur noch sehr schwer und wenn dann weit unter Wert verkaufen lassen.
Wiedergutmachung mittels Updates als zweifelhafter Versuch
Während in den USA knallhart gesagt wird, dass ein Industrieunternehmen einen Kunden bewusst getäuscht hat und dafür zur Rechenschaft gezogen werden muss, scheint das in unserem Land nicht der Fall zu sein.
Schadenersatzforderungen seitens geprellter und erboster Endverbraucher wurden flächendeckend durch die Industrie zurückgewiesen. Kam es zu einer Klage, wurden alle Rechtsmittel eingelegt und massiv auf Zeit gespielt.
Speziell die Kernmarke Volkswagen stand im öffentlichen Fokus und deren Anwälte kannten nur eine Strategie: Volle Kraft voraus, in der Hoffnung, dem Kunden geht die finanzielle oder psychische Kraft durch das Prozessieren aus.
Parallel dazu wurden erste Rückrufaktionen ausgerufen und Software-Updates eingespielt. Leider weiß niemand zu sagen, welche Auswirkungen diese Updates auf die Langlebigkeit, Leistung und Verbrauch des Motors und anderer Bauteile haben werden. Das Risiko bleibt also wieder am Kunden kleben.
Daran änderte auch der sogenannte Diesel-Gipfel nichts, der Anfang August 2017 abgehalten wurde und zu dem weder Vertreter des Bundesumweltamtes noch Vertreter der Verbraucherschützer eingeladen waren.
Unter dem Strich blieb es bei Software-Updates für etwas mehr als 5 Millionen PKW, was von unzähligen Experten als nicht ausreichend deklassiert wurde. Es erscheint auch nur schwer vorstellbar, dass ein paar Zeilen Code plötzlich alles wieder gut machen können.
Wäre dem so, stellte sich die Frage, warum das Update nicht schon früher bereitgestellt wurde. Das Umweltbundesamt veranschaulicht den massiven Versatz zwischen Grenzwerten der verschiedenen Euro-Normen und dem realen Ausstoß. Besonders beachtlich ist die Entwicklung von Euro 4 zu Euro 5:
Quelle:Umweltbundesamt
Wie kann es sein, dass massenhaft neue Fahrzeuge von der Deutschen Umwelthilfe nach wie vor mit viel zu hohen Schadstoffemissionen getestet werden?
Im Test, der zwischen März 2016 und Juni 2017 lief, lagen die harmlosesten Sünder (Audi A5 2.0 TDI, Mercedes E 200d) „nur“ 50 Prozent über dem maximalen Grenzwert. Das beeindruckendste Ergebnis lieferte ein anderer Audi: Der Audi A8 L 4.2 TDI toppte alle anderen Modelle mit 1.780 Prozent über dem Grenzwert (14). Folgender Clip zeigt, warum und wie die DHU testet:
Volkswagen lässt verlautbaren, dass das Softwareupdate eine 25 bis 30-prozentige Reduzierung der Stickstoff-Emissionen bewirken kann. Dasselbe dürfte auch bei den anderen Herstellern zu erwarten sein. Rechnen wir es also nach. Dazu ziehen wir die Messwerte der DHU heran und unterstellen die bestmögliche Reduzierung von 30 Prozent:
Audi A5 2.0 TDI | Mercedes E 200d | Ford Focus 1.5 TDCi | Opel Zafira 1.6 CDTi | Audi A8 L 4.2 TDI | |
---|---|---|---|---|---|
Messwert Ø NOx mg/km | 40 | 43 | 554 | 404 | 1422 |
Faktor Grenzwertüberschreitung | 0,5 | 0,5 | 6,9 | 5,1 | 17,8 |
Zulässig in mg/km (errechnet) | 26,67 | 28,67 | 80,29 | 79,22 | 79,89 |
Ausstoß nach Update in mg/km | 28 | 30,1 | 387,8 | 282,8 | 995,4 |
Differenz zum Grenzwert in mg/km | 1,33 | 1,43 | 307,51 | 203,58 | 915,51 |
Neuer Faktor Grenzwertüberschreitung | 0,05 | 0,05 | 3,83 | 2,57 | 11,46 |
Quelle: DUH, eigene Berechnungen
Damit ist eins klar: Die Autoindustrie hat keine Antwort auf das Problem der übermäßigen Schadstoff-Emissionen der Dieselfahrzeuge. Denn nicht ein einziges der getesteten Fahrzeug wird den maximalen (!) Grenzwert unterschreiten. Dass das Kraftfahrtbundesamt diesem Treiben zustimmt, kann daher nicht nachvollzogen werden.
Fazit zum Widerruf wegen Dieselgate
Dieselgate hat die Autofahrer weltweit kalt erwischt. Das besondere Fahrgefühl, das ein Diesel bietet, wird nun überschattet von dem Bewusstsein, dass der Familien-PKW ebenso viele Stickstoffe ausstößt, wie ein LKW. Zu diesem fahlen Beigeschmack gesellt sich die Erkenntnis, dass die Autokonzerne den Endkunden und die Kontrollbehörden ganz bewusst und mit Vorsatz getäuscht haben.
Wenn also schon beim Anlassen des Motors die Scham und/oder der Zorn das Gesicht rötlich einfärben, wer kann es da verdenken, dass geprellte Autofahrer nach jeder Möglichkeit Ausschau halten, die Situation zu verbessern?
Der Widerrufsjoker fußt auf einer juristischen Spitzfindigkeit, die zwar Potential, aber bislang kaum Chancen auf Erfolg erkennen lässt. Gleichzeitig hat dieselbe Masche schon bei den Baufinanzierungen gezogen. Die Situation ist derzeit noch völlig offen und eine Klage gleicht einer Zockerei.
Im Grunde geht es beim Widerrufsjoker nicht nur um die Rückabwicklung des Kauf- und Kreditvertrages, sondern vor allem geht es um das Nicht-Bezahlen einer Nutzungsentschädigung. Diesel-Fahrer sollen also juristisch in die Lage versetzt werden, den Wagen zurückgeben zu können und für die vielen tausend Kilometer keinen Cent bezahlen zu müssen.
Bislang gibt es noch keine Urteile, die einen solchen Ausgang unterstützen. Sollten Richter der Argumentation folgen, dürfte ein Flut von Widerrufen auf die Autofinanzierer zukommen. Wer dann am Ende die Autohändler dafür entschädigt, dass sie massenhaft gebrauchte Diesel mit enormen Wertverlust auf den Hof gestellt bekommen, steht auf einem anderen Blatt.
Autor: Marc Opitz
Quellen und weiterführende Informationen
(1) Kanzlei-Winterstein.de – Widerruf von Darlehensverträgen der VW-Bank möglich!
(2) Anwalt.de – VW-Finanzierungsverträge möglicherweise widerrufbar
(3) Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 358 Mit dem widerrufenen Vertrag verbundener Vertrag
(4) Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz – Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 355 Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen
(5) Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen – Landgericht Arnsberg, Urteil Az. 2 O 264/16
(6) IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft GmbH – Landgericht Regensburg, Urteil Az. 7 O 967/16
(7) Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen – Landgericht Krefeld, 2 O 83/16
(8) Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen – Landgericht Krefeld, 2 O 72/16
(9) Europäische Union – EUR-Lex, Amtsblatt der Europäischen Union L 304
(10) Anwalt.de – Rücktritt vom Autokaufvertrag -wie wird die Nutzungsentschädigung berechnet?
(11) Volkswagen – Pressemitteilung: Volkswagen startet Umwelt- und Zukunftsprogramm
(12) Opel Automobile GmbH – Wechsel leicht gemacht: Die „Opel Umweltprämie“
(13) Welt.de – Gericht urteilt pro Diesel-Fahrverbot in Stuttgart
(14) Deutsche Umwelthilfe DHU – PEMS-Messungen Ergebnisse März 2016 – Juni 2017 (PDF)